Nds. Landesarchiv, Abt. Hannover > Gewerbeaufsichtsämter

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Beschreibung: Gliederung (Tektonik)

Identifikation (Gliederung)

Titel 

Gewerbeaufsichtsämter

Kontext

Geschichte des Bestandsbildners 

1. Gewerbeaufsicht und Gewerbeaufsichtsämter vor 1945

Die sich im 19. Jahrhundert durchsetzende Industrialisierung brachte in allen gesellschaftlichen Bereichen tiefgreifende Änderungen mit sich. Ausgehend von der Verbreitung der Dampfmaschine führte das Entstehen der großen Fabriken zu einer vollständigen Umwälzung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Industriearbeiter. Zunehmend menschenunwürdige Arbeitsplätze, Kinderarbeit und immer häufiger schwere Unfälle mit den daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen führten in einem langen Prozess zum Eingreifen des Staates durch die Errichtung einer Gewerbeaufsicht, d.h. von Behörden, welche die Durchführung und Einhaltung staatlicher Gesetze, von An- oder Verordnungen betreffend den Schutz von Arbeitnehmern oder Angestellten zur Sicherung von Leben, Gesundheit und wirtschaftlicher Lage regeln und überwachen sollten.

Preußen begann damit, durch ein Regulativ vom 9. November 1839 die Kinderarbeit für Kinder unter neun Jahren zu verbieten. Daneben wurden die Höchstarbeitszeit von Jugendlichen bis zu 16 Jahren auf zehn Stunden beschränkt und die Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit für Jugendliche und weibliche Arbeitnehmer untersagt. Für die Überwachung der Einhaltung der ersten Auflagen war noch die örtliche Polizei zuständig, die jedoch oft versagte. Daher wurden in Preußen durch Gesetz vom 16. Mai 1853 (Preuß. Gesetzessammlung 1853 S. 225 ff.) sog. Fabrikinspektoren mit fachlicher Vorbildung angestellt, die ihre Tätigkeit ab Juni 1854 zunächst in den Regierungsbezirken Aachen, Arnsberg und Düsseldorf aufnahmen und die schnell immer umfangreicher werdenden Auflagen im Arbeitsschutz durchsetzen sollten.

Nach dem Ende des Königreichs Hannover 1866 wurde diese beginnende Gewerbeaufsicht auch in der neuen preußischen Provinz Hannover eingeführt. Da Versuche, Arbeitsschutzbestimmungen durch Kontrolle von "Selbstverwaltungsausschüssen" zu verwirklichen, scheiterten, wurden in den preußischen Provinzen Westfalen (ab 1874) und Hannover (ab 1878) Beamte als Fabrikinspektoren bzw. (ab 1878) Gewerberäte eingesetzt. Zur Unterstützung des staatlichen Gewerberats, dem anfangs die Aufgaben der Gewerbeaufsicht für alle Regierungsbezirke der Provinz Hannover oblagen und der dem Oberpräsidenten unterstellt war, wurden 1894 Gewerbeinspektionen eingerichtet, aus denen später die Gewerbeaufsichtsämter entstanden. Diese Behörden wurden von einem Gewerbeinspektor bzw. einem Regierungs- und Gewerberat geleitet. In der Provinz Hannover entstanden so sieben Gewerbeinspektionen in Hannover, Nienburg, Hildesheim, Northeim, Osnabrück, Leer und Lüneburg. In den folgenden Jahren wurden einige Standorte verlegt (u.a. Leer nach Aurich 1897 und Northeim nach Göttingen 1902) oder kamen neu hinzu (u.a. Lingen 1897/1904, Celle 1897/98, Stade 1900, Geestemünde 1901, Lesum 1906, Harburg 1907 und Emden 1914).

Gesetzliche Grundlage der Tätigkeit der staatlichen Gewerbeaufsichtsbeamten bildete zunächst die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 (Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes 26/1869, S. 245-282), wonach die Inspektoren berechtigt waren, Anordnungen zum Schutz der Arbeiter gegen Gefahren für Gesundheit und Leben zu erlassen (§ 18). Mit der Novelle zur Gewerbeordnung vom 17. Juli 1878 (RGBl. 24/1878, S. 199-212) wurden durch reichsrechtliche Vorschrift besondere Aufsichtsbehörden für das Gewerbe geschaffen. Nach § 139 b oblag die Gewerbeaufsicht neben den ordentlichen Polizeibehörden "besonderen von den Landesregierungen zu ernennenden Beamten", die zu jeder Tages- und Nachtzeit Fabriken visitieren durften; sie waren zur Geheimhaltung der Geschäfts- und Betriebsverhältnisse verpflichtet und hatten jährlich über ihre amtliche Tätigkeit zu berichten. Die Kompetenzen der Gewerbeaufsichtsverwaltung erfuhren durch die Arbeiterschutznovelle zur Reichsgewerbeordnung vom 1. Juni 1891 (sog. Lex Berlepsch-Lohmann; RGBl. I 1891, S. 261) eine wesentliche Erweiterung, als den Gewerbeaufsichtsbeamten außer den Fabriken nunmehr auch die gewerblichen Betriebe unterstanden.

Somit behielt sich der Staat für eine kontinuierlich steigende Zahl von Betrieben eine Genehmigungspflicht vor, wobei der Katalog der genehmigungspflichtigen Anlagen stetig wuchs und bald neben Dampfkessel- und Dampffässeranlagen (1894) auch den Umgang mit Sprengstoffen umfasste. Die Aufgaben der Gewerbeinspektionen waren sowohl polizeilicher als auch sozialpolitischer Natur und umfassten u.a.:

- Gewerbeaufsicht;
- Genehmigung und Überwachung gewerblicher Betriebe und ihrer technischen Anlagen;
- Überwachung der Arbeitsordnung, der Sonntagsarbeit, der Arbeit von Jugendlichen und Frauen;
- Beobachtung und Schlichtung von Streiks und Aussperrungen.
Die Konfektions- und Motorwerkstätten-Verordnung (1897), das Kinderschutzgesetz (1903) und das Hausarbeitsgesetz (1911) brachten zusätzliche Aufgaben für die Gewerbeaufsichtsverwaltung.

Im Ersten Weltkrieg kamen kriegswirtschaftliche Funktionen hinzu, u.a. der Einsatz, die Versorgung und die Kontrolle von Fremdarbeitern, die Überwachung der Arbeitszeitbestimmungen und eine Mitsprache bei Lebensmittelzuteilungen für Schwer- und Schwerstarbeiter. In der Zeit der Weimarer Republik erhielt die Gewerbeaufsichtsverwaltung infolge der Einführung des achtstündlichen Arbeitstages (1918), des Betriebsrätegesetzes (1920), der Anstellung von Gewerbeärzten (1921) sowie der Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten eine Vielzahl neuer Kompetenzen.

1937 erfolgte eine Verminderung der Zahl der preußischen Gewerbeaufsichtsämter; gleichzeitig wurden deren Bezirke neu abgegrenzt. So wurden u.a. die Gewerbeaufsichtsämter Lingen (zuständig für die Kreise Aschendorf-Hümmling, Grafschaft Bentheim, Lingen und Meppen) und Aurich aufgelöst, ihre Zuständigkeitsbereiche unter die Ämter Emden (Regierungsbezirk Aurich sowie die Kreise Aschendorf-Hümmling und Meppen) und Osnabrück (Regierungsbezirk Osnabrück mit Ausnahme der o.g. Kreise) aufgeteilt. In Auswirkung des Groß-Hamburg-Gesetzes wurde 1937 der neugebildete Stadtkreis Cuxhaven zur damaligen Provinz Hannover geschlagen und die Gewerbeaufsichtsämter Stade und Geestemünde in der Stadt Wesermünde zu einem Amt vereinigt.


2. Gewerbeaufsichtsämter nach 1945

Nach der Gründung des Landes Niedersachsen unterstanden die Gewerbeaufsichtsämter als Sonderbehörden auf der unteren Verwaltungsebene dem Minister für Arbeit, Aufbau und Gesundheit sowie später dem Sozialminister als oberster Behörde sowie den Regierungs- und Verwaltungspräsidenten bzw. seit 1978 den Bezirksregierungen als Mittelbehörde. 1986 wurde das Umweltministerium im Zuge der Aufgabenerweiterung der Gewerbeaufsicht auf Umweltschutzbelange zusätzlich vorgesetztes Ministerium. Seit 2005, durch die Einführung des zweistufigen Aufbaus der Landesverwaltung und des Wegfalls der Bezirksregierungen, sind die Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter direkt den zuständigen Ministerien unterstellt. Dabei kommt dem Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz die Dienst- und Fachaufsicht und dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung die Fachaufsicht zu.

Die Gewerbeaufsichtsämter sind in Niedersachsen räumlich für mehrere Kreise zuständig. Teilweise entspricht der Amtsbezirk den früheren Regierungs- und Verwaltungsbezirken ganz (Oldenburg) oder annähernd (Aurich, Osnabrück, Stade).

Im Jahre 1953 wurde der sachliche Zuständigkeitsbereich der Gewerbeaufsichtsverwaltung bundeseinheitlich neu geregelt. Danach unterstanden den Gewerbeaufsichtsämtern außer den ohnehin überwachungspflichtigen gewerblichen Anlagen auch Dampfkessel- und Dampffässeranlagen, Druckbehälter, Abfüllanlagen, Gasdruckanlagen, Aufzüge, Azetylenanlagen, die Lagerung von Chemikalien und Brennstoffen, Röntgenanlagen sowie Anlagen zur Erzeugung bzw. Verwendung radioaktiver Strahlen.

Heute umfasst das Aufgabenspektrum der Gewerbeaufsichtsämter folgende Bereiche:

1) Arbeitsschutz:
- Baustellen (u.a. Überwachung von Baustellen, Beratung von Betrieben, Stilllegung bei Arbeitsschutzmängeln)
- Gesetzliche Arbeitszeitregelung (u.a. Überprüfung von Arbeits- und Ruhezeiten, Erteilung von Ausnahmen für Sonn- und Feiertagsarbeit)
- Arbeitsstätten (u.a. Stellungnahmen in Baugenehmigungsverfahren, Beratung bei der Errichtung und Änderung von Arbeitsstätten)
- Betriebliche Arbeitsschutzorganisation (u.a. Beratung von Unternehmen und Betriebs- und Personalräten)
- Gefahrstoffe und biologische Arbeitsstoffe (u.a. Überwachung der Schutzvorschriften, Ausnahmeregelungen)
- Mutterschutz, Jugendarbeiterschutz und Heimarbeiterschutz (u.a. Überwachung der Arbeitsplatzgestaltung, Zulässigkeit von Kündigungen)

2) Gefahrenschutz:
- Anlagensicherheit (u.a. Beratung der Betriebe zu technischen und organisatorischen Maßnahmen, Vor-Ort-Inspektionen, Anordnung sicherheitstechnischer Prüfungen)
- Explosionsgefährliche Stoffe (u.a. Erteilung von Erlaubnissen, Lagergenehmigungen und Befähigungsscheinen)
- Überwachungsbedürftige Anlagen (u.a. Erteilung von Erlaubnissen, Untersuchung von Schadensfällen, Prüfungen)
- Beförderung gefährlicher Güter (u.a. Beratung über Gefahrgutvorschriften, Überwachung des Transports)
- Strahlenschutz (u.a. Genehmigung des Betriebs von Röntgeneinrichtungen, Genehmigung des Umgangs und der Entsorgung mit radioaktiven Stoffen, Aufsicht über die Beförderung von radioaktiven Stoffen)
- Gentechnik (u.a. Genehmigungsverfahren für gentechnische Anlagen, Stellungnahmen aus Sicht des Arbeits- und Umweltschutzes, Kontrollen)

3) Umweltschutz:
- Luftreinhaltung (u.a. Genehmigungsverfahren, Emissionshandel und -überwachung, Bearbeitung von Nachbarschaftsbeschwerden)
- Lärm, Erschütterungen (u.a. Messung von Geräuschimmissionen, Bearbeitung von Nachbarschaftsbeschwerden)
- Bauleitplanung (u.a. Stellungnahmen zu Bauleitplänen und Baugenehmigungsverfahren)
- Bodenschutz (u.a. Anordnung von Bodenuntersuchungen, Überwachung von Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen)
- Kreislauf- und Abfallwirtschaft (u.a. Überwachung der Vermeidung und Lagerung von Abfällen in Betrieben, Erteilung von Erlaubnissen, Genehmigung und Überwachung von Abfallentsorgungsanlagen)
- Anlagenbezogener Gewässerschutz (u.a. Durchführung von Eignungsfeststellungen, Anordnung zur Beseitigung von sicherheitstechnischen Mängeln)

4) Verbraucherschutz:
- Produktsicherheit (u.a. Kontrollen im Handel und auf Messen, Untersagung der Bereitstellung unsicherer Produkte)
- Umweltgerechte Gestaltung und Kennzeichnung von Produkten (u.a. Überprüfung von Produkten auf Ökodesignanforderungen, Untersagung des Inverkehrbringens nicht-konformer Produkte)
- Arzneimittel- und Medizinprodukteüberwachung (u.a. Entgegennahme von Anzeigen, Überwachung von Betrieben und Einrichtungen im Bereich Arzneimittel, Medizinprodukte und Heilmittelwerbung)

Von den heute zehn Gewerbeaufsichtsämtern in Braunschweig, Hannover, Lüneburg, Oldenburg, Göttingen, Hildesheim, Celle, Cuxhaven, Emden und Osnabrück verfügen die fünf erstgenannten nach dem derzeitigem Organisationsplan über zusätzliche sachliche Zuständigkeiten. Hierzu zählen die Durchführung förmlicher Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz und Planfeststellungsverfahren nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz sowie die Überwachung von Deponien, Medizinprodukten und Arzneimitteln. Diese Zuständigkeit gilt für den eigenen Aufsichtsbezirk wie auch den anderer Gewerbeaufsichtsämter (Braunschweig für Göttingen, Hannover für Hildesheim, Lüneburg für Celle und Cuxhaven sowie Oldenburg für Emden und Osnabrück). Über landesweite Zuständigkeiten verfügen darüber hinaus die Gewerbeaufsichtsämter Braunschweig (Anmelde- und Genehmigungsverfahren nach Gentechnikgesetz), Göttingen (Heimarbeitsüberwachung) und Hannover (gewerbeärztlicher Dienst für Arbeitsmedizin und Berufskrankheiten).

Stand: September 2015 (aktualisiert November 2016)

Literatur 

Lydia Buck-Heilig, Die Gewerbeaufsicht. Entstehung und Entwicklung (Studien zur Sozialwissenschaft 87), Opladen 1989.

Johannes Feig, Gewerbeaufsicht, in: Ludwig Heyde (Hg.), Internationales Handwörterbuch des Gewerkschaftswesens, Bd. 1, Berlin 1931, S. 630-638.

Niedersächsisches Sozialministerium und Niedersächsisches Umweltministerium (Hg.), Gewerbeaufsicht Jahresbericht 1988-1990, Hannover 1990.

Johann Josef Peters, Abriß der Geschichte der Gewerbe-Aufsicht in Deutschland, ihre sozialpolitische Bedeutung und ihre Rechtsgrundlagen, Berlin 1935.

Stephan Poerschke, Die Entwicklung der Gewerbeaufsicht in Deutschland, Jena 1913.

Carl Rauh, Übersicht über die Entwicklung der Organisation und der Aufgabe der Fabrik- und Gewerbeaufsicht im früheren Staate und heutigen Verwaltungsbezirk Braunschweig, Braunschweig 1955.

Simon Rolfs, Staatliche Gewerbeaufsicht und gewerbliche Berufsgenossenschaft. Entstehung und Entwicklung des dualen Aufsichtssystems im Arbeitsschutz in Deutschland von den Anfängen bis zum Ende der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. 1984.

W. Winter, Die Entwicklung der Gewerbeaufsicht in Niedersachsen, in: Neues Archiv für Niedersachsen 8 (1955/1956), S. 136-144.

Homepage der Nds. Gewerbeaufsicht

Bearbeiter 

Dr. Christian Helbich (2015/2016)